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i t t e r
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Z e i t s c h r i f t f ü r
M u s i k - u n d S o z i a l g e s c h i
c h t e (ZMUSO)
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Folkrevival in Slowenien?*
(III)
Werner Hinze im INFO Nr. 12 v. Oktober
1992
Abschließende Gedanken
Als ich die jungen Musiker von Marko banda
live erlebte, fühlte ich mich ungefähr 15 Jahre
zurück nach Westdeutschland versetzt - damals war
ebenfalls von einem Folkrevival die Rede. Dessen,
zugegebenermaßen drastisch vereinfachte, Entwicklung
ungefähr folgendermaßen zu beschreiben ist: Nach
längerer Nachkriegssprachlosigkeit, die allenfalls vom
Schulgesang oder abgeschotteten Jugendbewegten begleitet worden
war, begannen im Anschluß an die Ostermarschbewegung in
den 60er Jahren die ersten Ansätze volksmusikalischen
Nachdenkens auf der Burg Waldeck. Dieser Mischung aus
jugendbewegtem Freigeist und
„völkerverbindendem“ französischem
Chanson folgte einerseits die Flucht in die „heile“
irische oder lateinamerikanische Folklore-Welt und andererseits
das amerikanische Folkrevival als Leitbild einer demokratischen
Alternative und hippiekratischer Traumwelt. Aus diesen
unterschiedlich miteinander verflochtenen Subkulturen entsprang
eine Szene, die die deutschen Lieder und Tänze
„wieder entdeckte“. Dem aus Büchern und
Archiven entrissenen musikalischen Erbe wurde ein neues Gewand
gegeben und außerdem sagte man statt Volksmusik nunmehr
Folk. Viele Forschkanten gingen, mit der Angst vor NS-Tradition
im Nacken, weit in die Jahrhunderte zurück und nicht
selten wurde sich mutig mit den streikenden schlesischen Webern
von 1844 solidarisiert. Das Revival brachte neben Interessantem
so manch sonderbare Stilblüte und auf der Suche nach dem
„guten“ Lied wurde schon mal das eine oder andere
Auge zugedrückt. Nach kurzer Zeit waren viele junge
Gruppen entstanden, die nachspielten, was ihnen jene der
„Gründerjahre“, wie Liederjan, Fiedel Michel
oder Elster Silberflug vorgaben. Dilletantismus war neben
schulmäßig-klassischer Ausbildung zu bestaunen und
so manche LP wäre vor dem Erscheinen besser mit den
Brettern, die ja bekanntermaßen die Welt bedeuten,
zerschlagen worden. Doch, treu nach Politikermotto, war immer
wieder das schnöde (Hörer-) Volk schuld, wenn das
eine oder andere im Argen lag, und so zog man sich denn auch
schnell in sektiererische Nischen zurück oder änderte
ganz einfach seinen Musik“geschmack“ doch genug der
Vorrede, was ist nun in Slowenien anders, oder gar gleich?
Die Frage nach einem
„Folkrevival“ definitorisch zu stellen, verbietet
sich an dieser Stelle, da ein derartiger Versuch ins Uferlose
oder gar ins Nichts führen könnte. Zu konstatieren
bleibt die Tatsache einer wachsenden Popularisierung der
ausschnittsweise von mir dargestellten folkloristischen
Erscheinung, deren Entstehung einem Bedürfnis von Seiten
der Produzenten wie Konsumenten entsprechen muß. Zur
Bewertung dieses Phänomens ist eine Aufschlüsselung
in eine allgemeine und eine musikalische Entwicklung
nötig. Es bestehen musikalische Traditionslinien, die zu
einem großen Teil nachvollziehbar und in ihrer
Originalität noch heute visuell und auditiv erfahrbar sind
- mehr noch: die alten Musiker haben das musikalische
Verständnis und die technischen Fähigkeiten ihrer
Musik weitergeben können. Letzteres stellt einen
entscheidenden Unterschied zur westdeutschen Folklorebewegung
der 70er Jahre dar.
Von Seiten der Produzenten existiert
darüberhinaus eine unausgesprochene Interessengemeinschaft
mit verschiedenen multiplikatorischen Möglichkeiten.
Außer den vortragenden Musikern beschäftigen sich
seit längerem die Medien (z.B. Radio Slovenia, Radio
8tudent oder Radio Koper) mit folkloristischen Darbietungen und
Analysen dieser Art. Dazu kommt die Sammlung und Dokumentation
von Mira Omerzel-Terlep mit ihrer Gruppe (16) sowie die
Ausweitung des Hörerkreise durch Rockmusiker wie Vlado
Kreslin.
Der allgemeine kulturpolitische Kontext
ist primär in der Geschichte des Nachkriegs-Jugoslawien zu
finden. Doch anders als in Deutschland gab es keine
Sprachlosigkeit, im Gegenteil: In dem gemeinsamen,
„sozialistischen Vaterland“ waren die einzelnen
Teilrepubliken zwar formal gleichberechtigt, real bestand aber
eine serbo-kroatische Vormachtstellung, die sich natürlich
auch kulturell auswirkte. Sprache und Musik wurden Teil der
Identitätsfindung und ihnen kam im späteren
Unabhängigkeitsprozeß eine bedeutende Rolle zu. So
ist denn auch eine (ideologische) Konkurrenz der
unterschiedlichen folkloristischen Formen derzeit
sekundär. Im Laufe des Prozesses gesellschaftlicher wie
staatlicher Identitätsfindung ergänzen sie sich.
Die westdeutsche Folklorebewegung fand in
einer gesellschaftlichen und politischen Aufbruchstimmung ohne
ökonomische Ängste statt. Die stärker beginnende
Vergangenheitsbewältigung ergänzte das
Bewußtsein für die Probleme der Dritten Welt und der
Glaube an die Fortschrittsideologie wich zunehmend einer Angst
vor der globalen Katastrophe. Darüberhinaus bestand
innerhalb dieser subkulturellen Szene eine sonderbare
Verquickung von Internationalismus und Regionalismus und die
ideologische Pupille rotierte im weltpolitischem Auge,
während ein integratives Potential fehlte. Die
gesellschaftspolitische Energie resultierte aus dem Willen zur
Veränderung, der von Hoffnungen und Sehnsüchten
begleitet wurde. Genug Stoff für die durchstrukturierte
Medienlandschaft, die funktionierte, solange Einschaltquoten
und Kaufinteresse an dieser, zur Modeerscheinung verkommenen
volksmusikalischen Szenekultur
vorhanden waren.
Hoffnungen und Sehnsüchte begleiten
auch die Folklorebewegung Sloweniens, ansonsten aber liegen die
Bedingungen denen Westdeutschlands fast diametral entgegen. Ein
zahlenmäßig kleines Volk, das in der Geschichte
nicht über expansive Möglichkeiten verfügte,
befindet sich erstmalig im Prozeß staatlicher
Unabhängigkeit. Sprache und Kultur sind nicht von
angsterfüllter Tabuisierung beherrscht, sondern haben
einen emanzipatorischen Charakter. Mein Ausführungen waren
lediglich Assoziationen, ob die Verbindung von Geschichte und
Gegenwart in der slowenischen Folklore bei der allgemeinen
Suche nach Identität eine Zukunft hat, wird sich noch
zeigen.
Werner Hinze hat zu Beginn der 1990er
Jahre mehrere Aufsätze und Rundfunkbeiträge
veröffentlicht. Davon hier ein kleiner Auszug. Außer
dem hier dokumentierten Aufsatz können Sie noch Slowenien
nach dem Krieg als PDF-Dateien
ausdrucken lassen:
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