T o n s p l
i t t e r
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Z e i t s c h r i f t f ü r
M u s i k - u n d S o z i a l g e s c h i
c h t e (ZMUSO)
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Folkrevival in Slowenien?*
(II)
Werner Hinze im INFO Nr. 12 v. Oktober
1992
II. Beobachtungen und Diskussionen
Neben der universitären
Volksmusikforschung und der ca. 25-jährigen Tätigkeit
von „Radio Slovenia“ (vorher Radio Ljubljana), das
neben einer wöchentlichen Folkloresendung auch Konzerte
mitveranstaltet und selbst Kassetten produziert, (10) widmet
sich herausragend Mira Omerzel-Terlep aus Ljubljana seit
nunmehr ungefähr zwanzig Jahren in besonderer Weise der
Forschung, Pflege und Präsentation slowenischer Volksmusik
und Instrumente traditioneller Musik. Bereits während
ihrer letzten Schuljahre begann sie, die slowenischen Lieder zu
sammeln und später auch zu spielen. Seit ca. sieben Jahren
präsentiert sie Lieder, Tänze und Instrumente des
Landes gemeinsam mit ihrem Ehemann in Konzerten. Aus dieser
Arbeit resultieren drei Schallplatten und eine CD, sowie
verschiedene Publikationen. (11) Die Arbeit der unter dem Namen
Trutamora agierenden Gruppe vergleicht Mira Omerzel-Terlep mit
der eines Kustos in einem Museum und gibt mir in einem
Gespräch eine wichtige Unterscheidung slowenischer
Volksmusik, die der deutschen und englischen Sprache und
Forschung fremd ist: (12)
Der Begriff „folkmusic“ wird
bei uns in ljudska und narodna unterschieden.
„Ljudska“ bezeichnet die Musik von Menschen einer
bestimmten Region, während „Narodna“ dem
Begriff „national“ vergleichbar ist und die in ganz
Slowenien, oder wenigstens in einem größeren Gebiet
verbreitete Musik meint, wie beispielsweise „Vsi so venci
veijli“. (13) Das aus Prekmurje stammende Liedist heute
in ganz Slowenien bekannt. Es vollzog also einen Schritt von
ljudska zu narodna. Aber wir haben noch eine dritte Bezeichnung:
„narodna zabavna“. Wir haben also mit
„ljudska“, die regionale Musik im alten Stil und
mit „narodna“ die Musik alten Stils, die in ganz
Slowenien bekannt ist und wir haben die Musik nationalen Stils,
die nur so zum Spaß gespielt wird. Unsere Gruppe befindet
sich irgendwo zwischen der ersten und zweiten Kategorie, denn
wir sind keine alten Volksmusikanten, aber geben ihren Stil
wieder und wir spielen die Musik von ganz Slowenien.
Die slowenische Volksmusik hat in den
letzten zweihundert Jahren zwei tiefgreifende
Veränderungen erfahren. Neben der Verbreitung der
„Bleh“- Instrumente (14) brachte das Akkordeon der
Musik zum uniformierten Äußeren einen
simplifizierenden, vereinheitlichenden Klang. Besonders das
letztgenannte Instrument wurde bestimmend für die
staatlich reglementierte Folklore-Präsentation der
Nachkriegszeit.
Die Politiker wollten kein historisches
Denken, weshalb ein derartiges Bewußtsein in der
Musikwissenschaft auch nicht sehr ausgeprägt ist und die
Folkloregruppen präsentieren nur die Folklore aus der Zeit
nach dem Zweiten Weltkrieg, aber das Musikleben davor war total
anders.
Zu den hier von Mira Omerzel-Terlep
angesprochenen Gruppen gehören neben den
Großverdienern Avsenik z.B. auch die Folktanzgruppe
„France Marolt“, von deren staatsfolkloristischer
„Szenenmusik“ ich mich bei einem Konzert im Mai
diesen Jahres überzeugen konnte - sie ist in etwa mit der
in Deutschland von Maria Hellwig, Carolin Reiber, Heino usw.
präsentierten Volksmusikszene vergleichbar. Die geringe
Resonanz des France Marolt-Konzertes mag neben dem Ausbleiben
an Touristen auch an der ökonomischen Situation Sloweniens
liegen, dazu Mira Omerzel:
Das kulturelle Leben in Slowenien ist
total tot, denn die Leute haben ein schweres Leben und kein
Geld für Brot, wie sollen sie es da für Kultur haben?
Es ist eine schwierige Situation für Kultur, für alle
Musikanten, für alle Künstler. Lediglich die Musiker,
die nur aus Spaß spielen, können jetzt Erfolg haben.
Die Menschen wollen nicht so viel Ernstes hören, sie haben
keine Zeit und wenig Geld.
Um so erstaunlicher empfand ich die
relativ hohe Besucherzahl beim Konzert von Marko Banda, Kurja
Koža, Pišcaci sowie der italienischen Gruppe Calicanto,
das immerhin 500 slowenischen Tolar (ca. 10,-DM) Eintritt
kostete. Das Programm dieser slowenischen Gruppen entsprach der
„alten“ Volksmusiktradition, deren Pflege und
Präsentation Mira Omerzel-Terlep mit ihrer Gruppe
Trutamora neben den üblichen Auftritten auch im
Nationalmuseums Ljubljanas als Kinderkonzert darbietet.
Außer der Sängerin Mojka Žagar und Mira’s
Ehemann Matija machte auch der 9jährige Sohn Tine Terlep
bei diesem Vortrag mit. Sie führten verschiedene der
gesammelten Instrumente, Lieder und Tänze zum
größten Vergnügen der kleinen Zuschauer vor,
die sie zusätzlich als rhythmische Unterstützung
(Steine schlagen u.ä.) mit einbezogen.
Eine Erweiterung der Hörerschaft ganz
anderer Art ist die Rückbesinnung auf traditionelle
Formen, die von Rockmusikern wie Vlado Kreslin vollzogen wurde.
Vlado Kreslin spielt in Konzerten nicht nur mit seinen Eltern
zusam~ men, die eine der Traditionsfamilien prekmurjischer
Volksmusik stellen, sondern auch mit der schon erwähnten
„Beltinška banda“ und anderen Volksmusikanten.
Mit dem kommerziellen Apparat eines Rockmusikers wurde das
daraus hervorgegangene Programm „Namesto koga roža
cveti“ (Titel eines seiner Lieder) auf MC, CD und sogar
Video publiziert, (15) und somit die
„Vorkriegsfolklore“ einer völlig anderen
Hörerschaft zugänglich gemacht.
10 Vgl. INFO 10, S. 14ff.; neue
Produktionen von Radio Slovenia sind: LJUDSKI GODCI Z LJUBNEGA,
ca. November 1991, ohne Nr.; PEVCI IZ LU7, SNO7KAJ SEM V ENEM
KRAJU BIU, SIGNUM 8t. 415-646/91,
11 SLOVENSKE LJUDSKE PESMI IN GLASBILA Nr.
1 (ca. 1984, zusammen mit Bogdana Herman); Nr. 2 (1984, mit
Bogdana Herman); Nr. 3 (1987, mit Beti Jenko). Als Nr. 4
erschien 1991 die in Österreich produzierte CD mit dem
Titel „Zvo7nost slovenskih pokrajin“. Zusammen mit
der Sängerin Mojka Žagar tritt die Gruppe jetzt als
„Tutamora“ auf. / Mira Omerzel-Terlep schrieb
Aufsätze und Kommentare und wirkte an Videoproduktionen
mit, z.B.: „Zvo7na identiteta slovenskih ljudskih
glasbil“ (Die klangliche Identität slowenischer
Volksinstrumente) In: Med godci in glasbili na slovenskem,
Ljubljana, 1991. / Video-Kassette Slovenska Ljudska Glasbila in
godci (Beltinška banda), rtv VD 0015, Ljubljana 1987. /
Eine schöne Dokumentation slowenischer Volksmusik von Mira
Omerzel-Terlep herausgegeben ist beim Münchener
Trikontverlag erschienen: Der bleiche Mond / Bledi Mesec.
US-0182, München 1991. (sh. Extrabesprechung)
12 Gespräch des Autors mit Mira
Omerzel-Terlip vom 26.5.1992
13 Das Lied ist in INFO Nr. 10, S.
14 mit Melodie dokumentiert.
14 Das slowenische „h“
entspricht dem deutschen „ch“.
15 Vlado Kreslin, Namesto koga ro9a
cveti als MC: KD 1962, als CD von rtv DD 0045, als Video bei
IDEA, Radenska ohne Nr.
16 Mira Omerzel-Terleps Kustos-Gedanke
wurde von der Gruppe „Trinajsto Prase“ („das
dreizehnte Schwein“) aus Ljubljana aufgegriffen und um
eine pädagogische Intention erweitert. Darüber hinaus
vollziehen sie den Schritt zu kommerzieller Vortragsart. Im
Begleittext zu der im Dezember 1991 erschienen Kassette (DG
010) ist ebenfalls von einem Folkrevival die Rede.
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