Schalmeienklänge
im Fackelschein - 4 -
Auszug: Kap. 4.2.2.1
(S. 312-322)
In den folgenden
Monaten spielte die
„Anti-Faschismus“-Kampagne
innerhalb der Agitation nur eine geringe
Rolle. Lediglich bei einer Kundgebung am
24. Mai im Kaffee Funke wegen der
Durchsuchung der Arcos in London(97) oder
in der Auseinandersetzung mit dem Stahlhelm tauchte der Begriff Faschismus in der Propaganda auf (hier
z.B. am 10. September in Bremen
anläßlich des 13.
Jugendtages(98). Beim Gautreffen des RFB
Nordwest in Bremen am 28. August sah Oskar
Beanae in seinen Ausführungen
über die Entwicklung der 2. Bremer
Abteilung einen Zusammenhang zwischen dem
Kampf „gegen imperialistischen Krieg
und Faschistengefahr“.(99) Bei der
Veranstaltung zum Bremer Treffen
mußte ein Plakat in der
Wartburgstraße, das den Faschisten
den Tod wünschte, auf Veranlassung der
Polizei „wegen seines aufreizenden
Inhalts entfernt werden“:
„Dem Arbeiter
die Straße, den Faschisten der
Tod“(100)
Zeigte sich in dieser
drastischen Formulierung analog zur Theorie
der Einheitsfront
von unten ein
deutlicher Rückgriff auf das Jahr 1923
und die Formulierung der Roten Fahne - „Schlagt die Faschisten,
wo ihr sie trefft“ (die später
ebenfalls wieder übernommen wurde, s.
Dok. 1) -, so kam auch die Verwendung des
Begriffs Faschismus als Anhängsel an
jedes x-beliebiges Wort wieder in
Mode.(101) Der Begriff Faschismus, bis dato bereits zum Synonym
für die meisten gegnerischen
politischen Richtungen oder Ausdrucksformen
geworden, begann mit einer
Äußerung Willy Leows in seiner
Darstellung über die Geschichte des
RFB eine solche Erweiterung zu erfahren,
daß er in eine neue Begriffswelt
überzugehen schien. Um dem
programmatischen Ziel - der Organisierung
von Betriebsgruppen - näher zu kommen,
betonte er, daß sich „mit der
wachsenden Gefahr des Faschismus“ die
Organisation „in wachsendem
Maße“ auf dessen
Bekämpfung konzentrieren müsse,
und gab bekannt, daß die 4.
Reichskonferenz „die Bildung von
Betriebsgruppen des RFB zur Bekämpfung
des Betriebsfaschismus“(102)
beschlossen habe.
Leows Wortwahl wurde
im Januar 1928 nicht nur übernommen,
sondern mit einer weiteren
Neuschöpfung ergänzt. In ihrem
Bericht zur „Arbeit in Betrieb und
Gewerkschaften“ betonte die
Gauführung Nordwest, daß ein
„Kampf gegen den
Werkfaschismus“ nur geführt
werden könne, „wenn alle RFB
Kameraden, die im Betrieb beschäftigt,
sind zu einer Betriebsgruppe zusammen
geschlossen werden“.(104)
Die Entwicklung
verdeutlicht, daß die Ausweitung auf
den Begriff „Sozialfaschismus“,
der seit März 1928 zu verzeichnen
ist,(105) keineswegs ein
„Betriebsunfall“ war, sondern
lediglich die konsequente Fortführung
der begonnen Praxis. Aufgrund des
allumfassenden Verständnisses,
daß Faschismus das Lager des politischen
Gegners in seiner Gesamtheit war,
mußte mit der Rückbesinnung auf
die Theorie der Einheitsfront von unten ein derartiger Schritt
folgen - außerdem handelt es sich um
eine Fortführung des Begriffs der
„schwarzrotgelben Front der
Sozialverräter“ vom Juni 1925
(s. Kap. 4.2.1). Es kann deshalb auch kaum
verwundern, daß den genannten
Begriffen später (ab 1928) noch eine
Vielzahl anderer folgte (s. Liste 1). Der
Kampf galt z.B. den „faschistischen
Organisationen und
Werkvereinen“,(107) den
„faschistischen Sport- und
Wehrorganisationen“(108) oder war
„gegen die Faschisierung der
Seefahrt“(109) gerichtet - letzterer
folgte beispielsweise der Begriff
„Schiffahrtsfaschismus“. Der 1.
Juli 1928 wurde in Vegesack als
„Antifaschistentag“ begangen.
Zum 2. Gautreffen der
RJ in Kiel wurde am 20. Oktober 1928 in der
HVZ vorbereitend die Frage „Rote
Jungfront und Faschismus“
beantwortet. Nachdem die
„faschistischen Verbände“
als „ein Kampfinstrument der
Großbourgeoisie gegen das
Proletariat“ bezeichnet worden waren,
„zu dessen Niederwerfung die legalen
staatlichen Machtmittel nicht mehr“
ausreichten, wurde auf die soziale
Grundlage des Faschismus hingewiesen:
„Der Faschismus
hat seine soziale Grundlage in den
stellungslosen Offizieren und
Landsknechten, die nach Kriegsende sich in
keinen Beruf einleben konnten und in dem
durch Inflation, Rationalisierung und
Konzentration des Kapitals immer schneller
niedergehenden Kleinbürgertum.“110
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Bei dieser Definition
waren im Gegensatz zu jener vom ZK der KPD
vom Mai 1927 die „Elemente des
Elends“ am unteren Pol der
bürgerlichen Gesellschaft ausgenommen,
da sie sich offensichtlich kaum noch mit
der sozialen Situation der eigenen Klientel
in Einklang bringen ließen.
Insbesondere aber galt der Kampf wieder der
Sozialdemokratie, „die einen
großen Teil der Bekämpfer und
Verleumder des heutigen
Rußlands“ darstelle.(111) Ihnen
sei ein Teil einer „Resolution des
fünften Weltkongresses der KJ“
gewidmet, in der es u.a. hieß:
„Bei
fortschreitendem Zerfall der
bürgerlichen Gesellschaft nehmen alle
bürgerlichen Parteien, insbesondere
die Sozialdemokratie, einen mehr oder
weniger faschistischen Charakter an,
bedienen sich seiner Kampfesweise gegen das
Proletariat und lösen so selbst die
Gesellschaftsordnung auf, zu deren
Erhaltung sie sich gebildet hatten. Der
Faschismus und die Sozialdemokratie sind
die beiden Seiten ein und desselben
Werkzeuges der großkapitalistischen
Diktatur.“(112)
Der Antikriegstag, der 1927 in Hamburg am 24. Juli
- verbunden mit dem Norddeutschen Treffen - begangen wurde und
zu dem auch eine ca. 300 Personen starke
Delegation aus Bremen angereist war,(113)
stand unter dem Motto „Krieg dem
imperialistischen Krieg“(114) sowie
„Rote Bataillone gegen Krieg und
Kapital“(115). Ein Jahr später
galt es nicht nur die „Arbeiterfront
gegen imperialistischen Krieg“(116)
zu stellen, sondern auch „gegen
Faschismus und Kriegsgefahr“(117) zu
demonstrieren.
In der Phase, die
neben der Einordnung als Rückbesinnung
auf die Theorie der Einheitsfront von unten oder „ultralinke“ Wendung auch als Beginn der Gesellschaft in der
Gesellschaft
bzw. - nach Kluge/Negt - der Ideologie des Lagers bezeichnet wird,(118)
tauchte verstärkt auch der Begriff Vaterland in der Propaganda auf (s. Kap.
4.2.2.2). Die seit jener Phase ebenfalls
feststellbare inflationäre Nutzung des
Begriffs Faschismus, die in fast jeder
Auseinandersetzung mit einem der Gegner
präsent gewesen war, führte auch
zur Häufung der Selbstbestimmung in
der Negation des „Bösen“
als „Antifaschist“. Mit
gleicher Intention wurden auch die neuen
kommunistischen Organe mit
diesbezüglichen Namen versehen. Am 9.
März 1929 tagte im Berliner
Gewerkschaftshaus ein Erster Internationaler
Antifaschisten-Kongreß.(119)
Auffällig ist der
konzeptionslos erscheinende Gebrauch des
Begriffs Faschismus. Während Schneller in
seinem Eingangsreferat zum 12. Parteitag
der KPD unter dem Begriff „die
faschistischen Banden“ die
Nationalsozialisten, den Stahlhelm und das Jungdo
subsumierte, die er um die
„sozialfaschistischen Rollkommandos
des Reichsbanners“
ergänzte,(120) wurde eine Woche zuvor
anläßlich des
Stahlhelmaufmarsches eine andere
Aufzählung präsentiert. Als die
„Hamburger faschistischen
Verbände“ wurden neben sechs
Trommler- und Pfeiferkorps und zwei
Blasorchestern nur fünf
Personengruppen aufgeführt, die sich
insgesamt zu „wenig über 3000
Faschisten“ subsumiert hätten
(s. Dok. 2). Außerdem wurde behauptet:
„die Faschisten werden weniger.
Gestern waren es nur noch 746 Viererreihen,
gleich 2.984“.(121)
Ab August 1929 laufen
auch die Veranstaltungen der KPD und ihres
Umfeldes immer häufiger unter der
Überschrift „... gegen
Faschismus“. Nachdem der Norddeutsche
Arbeiterschutzbund in der kurzen Zeit seines
öffentlichen Bestehens (Ende 1929) in
der Versenkung verschwunden war und die
Neugründung eines anderen Bundes in
Angriff genommen wurde, begannen im Juni
1930 Veranstaltungen mit der alternativ
gestellten Frage „Bolschewismus oder
Faschismus“.(122) Begleitend zur
Kampagne wurde in der HVZ eine
Stellungnahme von Ernst Thälmann
veröffentlicht.(123) Die direkten
Gründungsveranstaltungen des Kampfbundes gegen den
Faschismus zu
Beginn des Oktobers wurden zusätzlich
mit Veranstaltungen unter dem Titel
„Faschistische Knute oder
Freiheitskampf um Brot und Macht“
propagandistisch vorbereitet.(124)
Seit 1932 ging der
Gebrauch des Begriffs Faschismus leicht zurück und wurde
zunehmend durch Ausdrücke aus der
nationalsozialistischen Szene ersetzt -
erstaunlich häufig jedoch, ohne damit
gleichgesetzt zu werden.
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