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Schalmeien-Kapelle der Roten Marine ca. 1926
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RFB Noten für Schalmei ca. 1926
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Ernst Thälmann in RFB-Uniform
 
Schalmeienklänge im Fackelschein
Auszug: Kap. 4.2.2.1 (S. 312-322) - Fußnoten S. 6

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„Der Faschismus“ oder: Der Rest der Welt als „Übergegner“

Werner T. Angress stellt in seiner Arbeit über Die Kampfzeit der KPD 1921-23 fest, daß 1923 eine „wilde kommunistische Beschimpfung des ,Faschismus“ stattfand, deren Ursachen er in dem Versuch sah, „die ungünstige Reaktion“ abzuschwächen, „die die Schlageter-Linie bei den nichtkommunistischen Teilen der deutschen Arbeiterbewegung hervorgerufen hatte“.(58) Die Kommunisten hätten in jener Phase „eine breite Skala der deutschen Rechten“ unter den Begriff „Faschismus“ subsumierten, der „von Hitlers Nationalsozialisten bis zur Deutschen Volkspartei“ ging (s. Kap. 2.3). Eine „antifaschistische Woche“, die für den 5. bis 12. April 1923 angesetzt wurde,(59) war ebenso Ausdruck agitatorischen Bemühens wie ein „Anti-Faschistentag“ am 29. Juli im gleichen Jahr.(60) Die Rote Fahne betonte im Mai 1923, daß die KPD bei ihrem „Kampf gegen den Faschismus“ unterscheiden müsse „zwischen von dem Kapitalisten bezahlten Pinkertonbanden und den aus ehrlicher nationalistischer Enttäuschung sich der Bewegung anschließenden Kleinbürgern“.(61) Das klang nach Differenzierung, und doch war es zu dürftig, um eine Vorstellung zu bekommen, was die KPD explizit unter „Faschismus“ verstand. Auch Brandler, der in jener Phase weniger vor den Sozialdemokraten als vor einer wachsenden „faschistischen“ Bewegung warnte, hatte allgemein die rechten Gruppierungen - insbesondere in Bayern - gemeint.(62) Und auch Die Rote Fahne bezog sich mit ihrem Slogan „Arbeiter, schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“(63) als Antwort auf den blutigen 11. Mai in Halle auf die sogenannten Vaterländischen Verbände (s. Kap. 2.2). Die folgenden Ausführungen sollen und können im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine Auseinandersetzung mit dem oder Diskussion über den „Faschismus“ darstellen. Sie können lediglich dokumentieren, was für eine Vorstellung KPD und RFB in den Jahren von 1924 bis 1929 von diesem Phänomen hatten bzw. welche Zuordnungen und definitorischen Ansätze sie in ihrer Propaganda benutzten. Konkret meint dieser Ansatz ausschließlich die Wirkung auf jene Menschen, die von der Propaganda beeinflußt werden konnten. Materialgrundlage der folgenden Ausführungen bilden in erster Linie die Darstellungen der HVZ (Daten in Klammern ohne weitere Angaben beziehen sich auf diese Quelle), deren Analyse durch allgemeine Dokumente des RFB und Äußerungen von Demonstranten des RFB und deren Schilder bzw. Skandierungen ergänzt wurde.

Bei der Gründung des RFB war der Hauptgegner zweifellos das sozialdemokratische Reichsbanner, während den nicht näher benannten „nationalistisch-faschistischen Organisationen“ (womit hauptsächlich die rechten soldatischen Verbände gemeint waren) mehr en passant der Kampf angesagt worden war.(64) Verlautbarungen im gleichen Sinne sind aus den Reihen des Bremer RFB vom Januar 1925 in den Polizeiprotokollen belegt, die sich auf „faschistische Organisationen“ bezogen und in Verbindung mit der Einschwörung des Bundes auf die neue Einheitsfront-Linie fielen.(65) Als die Thälmann-Bundesleitung im September des gleichen Jahres zur „Werbewoche“ von RFB und RJ aufrief und besonders auf die spezielle „Bearbeitung der Betriebe“ hinwies, war das „faschistische Gesindel“ als Gegner ausgemacht,(66) das „zu einer stetig wachsenden Gefahr für die Arbeiterklasse“ aufgrund seiner „Wühlarbeit in den Betrieben“ wurde („weniger durch ihr öffentliches Auftreten“). Propagandazettel, die auf dem Bremer Arbeitsamt verteilt worden waren, lauteten:

„Tod dem Faschismus
Hinein in den Roten Frontkämpfer-Bund!“(67) 

Nachdem im Aufruf zum Roten Frontkämpfer-Tag am 27. September in Bremen besonders darauf aufmerksam gemacht worden war, „daß Bremen nicht nur eine Stadt der Krämer und Pfeffersäcke“ sei, „in der sich die Faschisten tummeln können“,(68) wurde in Sprechchören skandiert:

„Das gesamte Faschistenpack, nieder, nieder, nieder!“.(69)

Als Mitte November 1925 der KPD-Distrikt Wandsbek-Eilbeck und Hohenfelde zusammen mit dem dortigen RFB und seinem Trommler- und Pfeiferkorps nach Hoisdorf und Ahrensburg marschierte, um unter den Kleinbauern und Landarbeitern zu agitieren, dienten Faschisten als imaginäre Gefahr. „Faschistische Jünglinge zu Pferde“ wurden ausgemacht, die die Landarbeiter und somit auch die Agitatoren „aus der Ferne“ beobachteten.(70) Anders stellte sich eine Szenerie in Bremen dar. Als Steinbrecher (Mitglied der BL) im Dezember 1925 auf einer Mitgliederversammlung des Bremer RFB zur politischen Lage referierte und dabei auch die Einheitsfront und die Aufgaben des RFB erklärte, bezeichnete er den Bund u.a. als eine Gegenorganisation der „Faschistenorganisationen“ Wehrwolf, Jungdo und auch des Reichsbanners: (71)

„Es liegt uns nicht daran, einzelne Aufnahmen aus diesen Organisationen zu machen, sondern im Gegenteil, diese müßten in ihren Organisationen und in ihren Abteilungen bleiben, um dort für uns zu arbeiten und größere Massen für die Rote Front zu gewinnen. Das Reichsbanner würde sonst alle Oppositionellen aus ihrer Organisation rausschmeißen.“(72)

Als Arbeitsanleitung gab Steinbrecher den Roten Frontkämpfern die Empfehlung, die Faschisten zu fragen, „Habt ihr nicht dieselben Sozialfragen wie wir?“ - das sei für die Agitatoren „eine Schulung“. Daß Steinbrecher, dessen Vorstellungen offenbar noch auf nationalbolschewistischen Ideengut fußten, damit nicht die Mehrheitsmeinung der Parteileitung vertrat, gab er zu erkennen als er meinte:

„In der KPD mögen sie tun was sie wollen, wir haben einen ganz anderen Weg, eine rein marxistische Frage zu lösen.“(73)

Die von Steinbrecher verbreitete Einheitsfrontvorstellung wurde erweitert, indem er die Faschisten - also inklusive der Sozialdemokraten und somit auch des Reichsbanners - als „Auffüllungsmassen der schwarzen Reichswehr“ bezeichnete. Mit diesen - also auch mit Wehrwolf und Jungdo - sei zu „diskutieren“ und „nicht jedem die Faust“ zu zeigen. „Speziell“ aber sei zu „versuchen aus dem Reichsbanner alle proletarischen Elemente herauszuholen“.(74) 

Im Jahre 1926 taucht der Begriff Faschismus in der Propaganda relativ selten auf. Im Januar fand sich im Protokollbuch des Bremer Frontkämpfers Bresse erneut eine Begriffsvernebelung, als man für die gerichtlich erzwungene Umbenennung des Roten Jungsturms in Rote Jungfront lediglich „eine faschistische Organisation“ verantwortlich machte, die nicht namentlich genannt wurde.(75) Und im Mai spielte die HVZ anläßlich des II. Reichstreffens mit der Bedeutung des Begriffs „antifaschistisch“:

„Denn jeder Arbeiter sah: Hier marschierten keine Klimbimsoldaten, die um der Spielerei willen ein einheitliches Kleid tragen, hier marschierten keine faschistischen Heldenjünglinge, die Bürgerbräuputsche und Judenpogrome veranstalteten, hier kommen Arbeiter, die ihr Leben im Betrieb verbringen. Der Ernst der Demonstrierenden, der Charakter von Männern, die im Schmiedefeuer der Arbeit und des Kampfes gegen das Kapital hart geworden sind, gab dem Zug das Gepräge.“(76)

Eine Zunahme der Nutzung des Begriffs Faschismus fand mit der stärkeren Bedeutung von Schulung und Wehrsport der RJ 1926/27 statt. Zwei Ereignisse im Januar 1927 führten zu einer Auseinandersetzung und gleichzeitigen Rechtfertigung der eigenen Wehrpolitik. Zum einen verbot Hindenburg durch einen Erlaß der Reichswehr

„jede Aufnahme junger Leute, die nicht gesetzmäßig eingestellt sind, in die Kasernen, Ausbildungslager und in die Truppenteile, sei es auf Probe oder für freiwerdende Stellen, sei es für einen Ausbildungslehrgang oder zur zeitweiligen Erhöhung der Mannschaftsbestände“,
sowie
„die Vorbereitung und Ausbildung von Reservestämmen im allgemeinen sowie von Reserveoffizieren im besonderen.“(77)
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Z e i t s c h r i f t   f ü r   M u s i k -   u n d   S o z i a l g e s c h i c h t e  (ZMUSO)
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Abb. 1  HVZ v. 4.6.1927: „Faschistische Bazillen“ 
>„Faschismus“-Vorstellung der KPD S. >1 >2 >3 >4 >5 (Anm.)  >Als PDF  > ZMUSO   > Die Schalmei