Schalmeienklänge
im Fackelschein
Auszug: Kap. 4.2.2.1
(S. 312-322) - Fußnoten S. 6
„Der
Faschismus“ oder: Der Rest der Welt
als „Übergegner“
Werner T. Angress
stellt in seiner Arbeit über Die Kampfzeit der KPD
1921-23 fest,
daß 1923 eine „wilde
kommunistische Beschimpfung des
,Faschismus“ stattfand, deren
Ursachen er in dem Versuch sah, „die
ungünstige Reaktion“
abzuschwächen, „die die
Schlageter-Linie bei den
nichtkommunistischen Teilen der deutschen
Arbeiterbewegung hervorgerufen
hatte“.(58) Die Kommunisten
hätten in jener Phase „eine
breite Skala der deutschen Rechten“
unter den Begriff „Faschismus“
subsumierten, der „von Hitlers
Nationalsozialisten bis zur Deutschen
Volkspartei“ ging (s. Kap. 2.3). Eine
„antifaschistische Woche“, die
für den 5. bis 12. April 1923
angesetzt wurde,(59) war ebenso Ausdruck
agitatorischen Bemühens wie ein
„Anti-Faschistentag“ am 29.
Juli im gleichen Jahr.(60) Die Rote Fahne betonte im Mai 1923, daß die KPD bei ihrem
„Kampf gegen den Faschismus“
unterscheiden müsse „zwischen
von dem Kapitalisten bezahlten
Pinkertonbanden und den aus ehrlicher
nationalistischer Enttäuschung sich
der Bewegung anschließenden
Kleinbürgern“.(61) Das klang
nach Differenzierung, und doch war es zu
dürftig, um eine Vorstellung zu
bekommen, was die KPD explizit unter
„Faschismus“ verstand. Auch
Brandler, der in jener Phase weniger vor
den Sozialdemokraten als vor einer
wachsenden „faschistischen“
Bewegung warnte, hatte allgemein die
rechten Gruppierungen - insbesondere in
Bayern - gemeint.(62) Und auch Die Rote Fahne bezog sich mit ihrem Slogan
„Arbeiter, schlagt die Faschisten, wo
ihr sie trefft“(63) als Antwort auf
den blutigen 11. Mai in Halle auf die
sogenannten Vaterländischen
Verbände (s. Kap. 2.2). Die folgenden
Ausführungen sollen und können im
Rahmen der vorliegenden Arbeit keine
Auseinandersetzung mit dem oder Diskussion
über den „Faschismus“
darstellen. Sie können lediglich
dokumentieren, was für eine
Vorstellung KPD und RFB in den Jahren von
1924 bis 1929 von diesem Phänomen
hatten bzw. welche Zuordnungen und
definitorischen Ansätze sie in ihrer
Propaganda benutzten. Konkret meint dieser
Ansatz ausschließlich die Wirkung auf
jene Menschen, die von der Propaganda
beeinflußt werden konnten.
Materialgrundlage der folgenden
Ausführungen bilden in erster Linie
die Darstellungen der HVZ (Daten in
Klammern ohne weitere Angaben beziehen sich
auf diese Quelle), deren Analyse durch
allgemeine Dokumente des RFB und
Äußerungen von Demonstranten des
RFB und deren Schilder bzw. Skandierungen
ergänzt wurde.
Bei der Gründung
des RFB war der Hauptgegner zweifellos das
sozialdemokratische Reichsbanner,
während den nicht näher benannten
„nationalistisch-faschistischen
Organisationen“ (womit
hauptsächlich die rechten soldatischen
Verbände gemeint waren) mehr en
passant der Kampf angesagt worden war.(64)
Verlautbarungen im gleichen Sinne sind aus
den Reihen des Bremer RFB vom Januar 1925
in den Polizeiprotokollen belegt, die sich
auf „faschistische
Organisationen“ bezogen und in
Verbindung mit der Einschwörung des
Bundes auf die neue Einheitsfront-Linie
fielen.(65) Als die
Thälmann-Bundesleitung im September
des gleichen Jahres zur
„Werbewoche“ von RFB und RJ
aufrief und besonders auf die spezielle
„Bearbeitung der Betriebe“
hinwies, war das „faschistische
Gesindel“ als Gegner ausgemacht,(66)
das „zu einer stetig wachsenden
Gefahr für die Arbeiterklasse“
aufgrund seiner „Wühlarbeit in
den Betrieben“ wurde („weniger
durch ihr öffentliches
Auftreten“). Propagandazettel, die
auf dem Bremer Arbeitsamt verteilt worden
waren, lauteten:
„Tod dem
Faschismus
Hinein in den Roten
Frontkämpfer-Bund!“(67)
Nachdem im Aufruf zum Roten Frontkämpfer-Tag am 27. September in
Bremen besonders darauf aufmerksam gemacht
worden war, „daß Bremen nicht
nur eine Stadt der Krämer und
Pfeffersäcke“ sei, „in der
sich die Faschisten tummeln
können“,(68) wurde in
Sprechchören skandiert:
|
|
„Das gesamte
Faschistenpack, nieder, nieder,
nieder!“.(69)
Als Mitte November
1925 der KPD-Distrikt Wandsbek-Eilbeck und
Hohenfelde zusammen mit dem dortigen RFB
und seinem Trommler- und Pfeiferkorps nach
Hoisdorf und Ahrensburg marschierte, um
unter den Kleinbauern und Landarbeitern zu
agitieren, dienten Faschisten als
imaginäre Gefahr. „Faschistische
Jünglinge zu Pferde“ wurden
ausgemacht, die die Landarbeiter und somit
auch die Agitatoren „aus der
Ferne“ beobachteten.(70) Anders
stellte sich eine Szenerie in Bremen dar.
Als Steinbrecher (Mitglied der BL) im
Dezember 1925 auf einer
Mitgliederversammlung des Bremer RFB zur
politischen Lage referierte und dabei auch
die Einheitsfront und die Aufgaben des RFB
erklärte, bezeichnete er den Bund u.a.
als eine Gegenorganisation der
„Faschistenorganisationen“
Wehrwolf, Jungdo und auch des Reichsbanners:
(71)
„Es liegt uns
nicht daran, einzelne Aufnahmen aus diesen
Organisationen zu machen, sondern im
Gegenteil, diese müßten in ihren
Organisationen und in ihren Abteilungen
bleiben, um dort für uns zu arbeiten
und größere Massen für die
Rote Front zu gewinnen. Das Reichsbanner
würde sonst alle Oppositionellen aus
ihrer Organisation
rausschmeißen.“(72)
Als Arbeitsanleitung
gab Steinbrecher den Roten
Frontkämpfern die Empfehlung, die
Faschisten zu fragen, „Habt ihr nicht
dieselben Sozialfragen wie wir?“ -
das sei für die Agitatoren „eine
Schulung“. Daß Steinbrecher,
dessen Vorstellungen offenbar noch auf
nationalbolschewistischen Ideengut
fußten, damit nicht die
Mehrheitsmeinung der Parteileitung vertrat,
gab er zu erkennen als er meinte:
„In der KPD
mögen sie tun was sie wollen, wir
haben einen ganz anderen Weg, eine rein
marxistische Frage zu
lösen.“(73)
Die von Steinbrecher
verbreitete Einheitsfrontvorstellung wurde
erweitert, indem er die Faschisten - also inklusive der
Sozialdemokraten und somit auch des
Reichsbanners - als
„Auffüllungsmassen der schwarzen
Reichswehr“ bezeichnete. Mit diesen -
also auch mit Wehrwolf und Jungdo - sei zu
„diskutieren“ und „nicht
jedem die Faust“ zu zeigen.
„Speziell“ aber sei zu
„versuchen aus dem Reichsbanner alle
proletarischen Elemente
herauszuholen“.(74)
Im Jahre 1926 taucht
der Begriff Faschismus in der Propaganda relativ
selten auf. Im Januar fand sich im
Protokollbuch des Bremer Frontkämpfers
Bresse erneut eine Begriffsvernebelung, als
man für die gerichtlich erzwungene
Umbenennung des Roten Jungsturms in Rote
Jungfront lediglich
„eine faschistische
Organisation“ verantwortlich machte,
die nicht namentlich genannt wurde.(75) Und
im Mai spielte die HVZ anläßlich
des II. Reichstreffens mit der Bedeutung
des Begriffs „antifaschistisch“:
„Denn jeder
Arbeiter sah: Hier marschierten keine
Klimbimsoldaten, die um der Spielerei
willen ein einheitliches Kleid tragen, hier
marschierten keine faschistischen
Heldenjünglinge, die
Bürgerbräuputsche und
Judenpogrome veranstalteten, hier kommen
Arbeiter, die ihr Leben im Betrieb
verbringen. Der Ernst der Demonstrierenden,
der Charakter von Männern, die im
Schmiedefeuer der Arbeit und des Kampfes
gegen das Kapital hart geworden sind, gab
dem Zug das Gepräge.“(76)
Eine Zunahme der
Nutzung des Begriffs Faschismus fand mit der stärkeren
Bedeutung von Schulung und Wehrsport der RJ
1926/27 statt. Zwei Ereignisse im Januar
1927 führten zu einer
Auseinandersetzung und gleichzeitigen
Rechtfertigung der eigenen Wehrpolitik. Zum
einen verbot Hindenburg durch einen
Erlaß der Reichswehr
„jede Aufnahme
junger Leute, die nicht
gesetzmäßig eingestellt sind, in
die Kasernen, Ausbildungslager und in die
Truppenteile, sei es auf Probe oder
für freiwerdende Stellen, sei es
für einen Ausbildungslehrgang oder zur
zeitweiligen Erhöhung der
Mannschaftsbestände“,
sowie
„die
Vorbereitung und Ausbildung von
Reservestämmen im allgemeinen sowie
von Reserveoffizieren im
besonderen.“(77)
|