Lieder der Straße
Lobeshymnen Teil 3


Heike Müns in: Zeitschrift für Volkskunde
Halbjahresschrift der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde
102. Jahrgang, 2006/II, Münster 2006, S. 320f.

Respekt: Der Herausgeber legt sein erstes Liederbuch als Produkt jahrzehntelanger Sammlungen und Recherchen vor. Werner Hinze hat sich einen eigenen Verlag und ein Archiv für Musik und Sozialgeschichte aufgebaut und gibt aus diesem Fundus mehrere Reihen heraus wie eine Wissenschaftliche Reihe, eine Liederbuchreihe, Liedmonographien, Zeitdokumente und Liedpostkarten. Die gemeinsame Herausgabe von vorliegendem Liederbuch und Lexikon mit dem Hamburger Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“ betont sein sozialpolitisches Engagement: jeweils ein Euro des Verkaufspreises kommen „Hinz & Kuntz“ zugute. Der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Liedern der unteren sozialen Schichten hatte sich zwar Wolfgang Steinitz mit seinen „Deutschen Volksliedern demokratischen Charakters“ bereits erfolgreich zugewandt, doch gerade die ‚Rinnsteinlieder’ vernachlässigt, weil sie nach seiner Auffassung als Lieder des Lumpenproletariats, der Bettler, Vagabunden, Dirnen zwar auch „Opfer der Klassengesellschaft sind, aber nicht zum werktätigen Volk gehören“ (Steinitz, Vorwort S. XXIII). Insofern trifft Hinze hier zum einen eine Forschunglücke, kann aber zum anderen eine wunderbare Quelle nutzen:

Hans Ostwalds „Lieder aus dem Rinnstein“, eine dreibändige Lieder- und Gedichtsammlung, die 1903 und 1905 von dem Berliner Goldschmied, der auch eigene Erfahrungen von der Walz einbringen konnte, erarbeitet worden war. Ostwald hatte sich als einer der ersten mit den Folgeproblemen der urbanen Modernisierung beschäftigt, indem er 1904 die Schriftenreihe „Großstadtdokumente“ initiierte, sich u.a. auch mit dem Berliner Dirnentum befasst hatte und ganz wesentlich: ein Lexikon der Gauner-, Dirnen- und Landstreichersprache vorlegte. Seine Bücher gelten heute als wichtige Quelle für die Metropolenforschung. Ein Hauptverdienst von Werner Hinzes Beschäftigung mit Ostwald ist die Rekonstruktion bzw. Suche nach den passenden Melodien zu Ostwalds Texten. Um die Lieder mit diesen Melodien wieder singbar zu machen, mussten die Liedtexte zuweilen verändert werden, wie der Herausgeber schreibt. Offenbar wollte Hinze seine Ausgabe eher populärwissenschaftlich halten, denn weder die Veränderungen noch die exakten Quellen sind in diesem Zusammenhang angegeben. Dieses Prinzip macht bei allem Lesevergnügen die Schwäche der Publikationen, auch des Lexikons aus.

Die Folkloristen jedoch werden diese Ausgaben lieben, bieten sie doch eine ungewöhnliche Liedauswahl, interessante Informationen und Geschichten rund um die jeweiligen Lieder, Erlebnisberichte und dichterischen Gestaltungen des Themas. Die einzelnen Kapitel demonstrieren die sozialen Schichten, für die die Straße Hauptort sozialer Kontakte bedeutet: Bettler und Arme, Vagabunden, Händler, Auswanderer, „Schicksen, Rosalinden, Huren, leichte und sonstige Mädchen“, Handwerksburschen. Seine Sympathie gilt den Obdachlosen, den Menschen auf der Straße, denen er bzw. Sybille Arndt durch die Lieder und Lexikonartikel Würde gibt.

Die Vorteile des eigenen Verlages hat der Herausgeber dabei in jeder Richtung ausgekostet, man empfindet den Spaß an der gekonnten Gestaltung, die aber im Vergleich zu den vorgestellten Liedern zuweilen vordergründig wirkt, wenn die vergleichsweise pompösen Liedkapitelüberschriften wie: „Fahrende Ärzte, Quacksalber, Wunderdoktoren und Wallfahrten“ oder „Juden, jiddische Lieder, Judenmusikanten, Holocaust“ nur zwei oder drei Liedbeispiele enthalten.

Liederbuch und Lexikon bilden zusammen mit den aussagekräftigen Illustrationen ein gelungenes Standardwerk für die Beschäftigung mit den ‚Liedern der Straße’. Schade, dass auf zeitgenössische Beispiele verzichtet wurde, denn das Thema ist (leider) hochaktuell.

Oldenburg  HEIKE MÜNS

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